Wahlaufruf zur Bundestagswahl 2021

Liebe Engagierte in der katholischen Jugend(verbands)arbeit,

die Bundestagswahl 2021 steht vor der Tür. Am 26. September können die Wahllokale aufgesucht werden, die Wahlbenachrichtigungen sind längst verschickt und eine Registrierung zur Briefwahl ist möglich.

Mit diesem Newsletter wollen wir im Vorfeld der Bundestagswahl Perspektiven aus unserer Arbeit für eure Wahlentscheidung beigeben. Mit Artikeln aus der Jugendverbandsarbeit werben wir zum einen für eine Wahlentscheidung für die Interessen von Kindern und Jugendlichen. Zum anderen lehnen wir die Positionen der AfD ab und rufen zur Wahl einer demokratischen Partei auf, die zu unseren jugendverbandlichen Werten passt. Wir setzen uns gemeinsam für ein buntes Land ein – deutlich wurde dies auch durch die diesjährige Aktion Zukunfts-zeit mit aktuell knapp 43.000 gesammelten Stunden Engagement für eine menschenfreundliche, solidarische, jugendgerechte, geschlechtergerechte, vielfältige, inklusive und klimagerechte Gesellschaft.

Eure Stimme für ein buntes Land am 26. September 2021!

Wir danken allen Jugend- und Diözesanverbänden für ihr Engagement im Vorfeld der Bundestagswahl.

Euer Gregor
für den BDKJ Bundesvorstand


Eine Demo der Vielfalt
von Rebekka Schuppert, politische Bundesleitung der KSJ

Es ist Christopher-Street-Day in Köln. Zwischen Parade und Drag Queens finden sich auch die katholischen Jugendverbände. Dies verwundert Außenstehende manchmal etwas, katholisch und queer sein, wie geht das?! Doch queere Menschen und deren Verbündete finden sich in den katholischen Jugendverbänden. So gibt es seit Jahren die KjGay eine Untergruppierung der Katholischen junge Gemeinde (KJG) und seit Neustem auch die QSJ- Queere Studieren-den Jugend, eine Gruppe in der Katholisch Studierenden Jugend (KSJ) Köln. Auch in weiteren Verbänden finden sich Arbeitsgruppen zu der Thematik. In der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) gibt es die AG Geschlechtergerechtigkeit und sexuelle Vielfalt.

Bezüglich queerer Politik hat sich in den letzten Jahren viel getan: Die Dritte Geschlechtsoption wurde eingeführt. Schwule und Lesben können nun auch heiraten. Auch die Konversionsthearpie wurde endlich verboten und geächtet. Was gibt es also noch zu tun?
Nach wie vor erleben junge, queere Menschen vor allem eins: das sie aus der Norm fallen. Es gibt kaum eine menschliche Kategorie, die unsere Identität so sehr prägt wie das Geschlecht. Für Trans- und Intergeschlechtliche bedeutet das vor allem eins: nicht in das System aus männlich und weiblich zu passen. Auch für junge Menschen, die sich nicht als heterosexuell definieren, gibt immer noch die Notwendigkeit sich zu erklären. Allein die Existenz vom sogenannten „Coming-out zeigt, dass es längst nicht zur Normalität gehört, schwul oder lesbisch zu sein.

Viel mehr noch: nach wie vor gilt „Schwuchtel“ als Schimpfwort auf Schulhöfen. Die Benachteiligung von queeren Jugendlichen lassen sich in Zahlen fassen: 80% der betroffenen Jugendlichen gaben an, schon Diskriminierung erlebt zu haben. In der Schule, Ausbildung oder am Arbeitsplatz am häufigsten durch Beschimpfungen und Beleidigungen (51%).

Dies bedeutet für junge Menschen vor allem eins: Stress. Und übermäßiger Stress führt zu psychischen Erkrankungen. Aktuelle Studien zeigen, dass queere Menschen fast dreimal häufiger von Depressionen und Burn-Out betroffen sind als die restliche Bevölkerung. Bei transgeschlechtlichen Menschen ist die Anzahl der Angststörungen besonders hoch (rund 40% aller Transpersonen).  Dies ist nicht verwunderlich, wenn man betrachtet wie viel Hass und Hetze Transpersonen erhalten, die in der Öffentlichkeit stehen.
Besondere Repressalien erleben queere Menschen in der katholischen Kirche. Die katholische Sexualmoral lehnt geschlechtliche Vielfalt genauso wie homosexuelle Handlungen nach wie vor ab. Dies hat zu großen Verletzungen geführt. Auch katholische Jugendverbände waren nicht immer frei von Diskriminierung gegenüber queeren Personen. Der BDKJ engagiert sich deshalb solidarisch gegenüber queeren Menschen in kirchenpolitischen Prozessen wie dem Synodalen Weg.

Mit Blick auf die Bundestagswahl ist eine vielfältigere Besetzung wünschenswert: Bisher sitzt keine einzige Transperson im Bundestag. Um eine tatsächliche Vertretung des Volkes zu ge-währleisten, wäre es gut, das Volk im Bundestag abzubilden. Dazu bräuchte es aber auch deutlich mehr Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit nicht-akademischen Abschluss.

Der BDKJ Bundesverband möchte sich im Rahmen der Aktion Zukunftszeit, für eine Gesellschaft einsetzen, in der alle Menschen akzeptiert werden und als wertvoller Teil einer großen Gemeinschaft angesehen werden. Wir treten gemeinsam für ein Miteinander ein, das von Respekt, Bereicherung und Verbundenheit geprägt ist.

Aus diesem Grund fordert der BDKJ die Aufnahme von „sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität“ in Artikel 3 des Grundgesetzes.

In den vielen unterschiedlichen Jugendverbänden des BDKJ engagieren sich junge Menschen mit vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Identität. Jugendverbände sind Orte, in denen junge Menschen in ihrer Identitätsentwicklung gestärkt werden. Sie können Schutzräume für queere Menschen und Austausch über die eigene Identität bieten. Diese Vielfalt, die wir in unseren Verbänden haben, ist an jedem Tag im Jahr eine Demo der Vielfalt.


Jugendgerechtigkeit
von Yu Niedermayer, Bundesleitung der KjG

Als Kinder- und Jugendverbände greifen wir die Interessen von Kindern und Jugendlichen auf und positionieren uns aus ihrer Perspektive in Gesellschaft und Politik. Das tun wir, um unsere Umwelt kinder- und jugendgerecht zu gestalten.

Verständnis von Jugendgerechtigkeit

Es gibt keine allgemeingültige Definition von Jugendgerechtigkeit. Sie ist ebenso vielfältig, wie es „die Jugend“ selbst ist. Dementsprechend kann kein Allround-Plan abgearbeitet werden. Die wichtigste Erkenntnis lautet: Jugendliche müssen angemessen beteiligt werden. Die Entwicklung angemessener Methoden der Beteiligung kann nicht per se festgelegt werden, sondern hängt von unterschiedlichsten Faktoren ab und wird bestenfalls im Zusammenwirken mit Jugendlichen erarbeitet.

Jugendgerechtigkeit bedeutet, die Interessen junger Menschen in den Fokus zu rücken, sie ernst zu nehmen und als Querschnittsthema ressortübergreifend zu berücksichtigen.

Bemühungen für Jugendgerechtigkeit

Jugendgerechtigkeit wird von wichtigen Akteur*innen wie Politik, demokratischen Stiftungen oder der Bundesarbeitsgemeinschaft katholische Jugendsozialarbeit im kommunalen Feld forciert. Projekte für jugendgerechte Kommunen werden mit Fachwissen im Sinne gelingender und gerechter Beteiligung von Jugendlichen begleitet. Bundespolitisch wurde die Strategie einer eigenständigen Jugendpolitik implementiert. Der 15. Kinder- und Jugendbericht des Bundes 2018 stellt die Ermöglichung der Lebensphase Jugend in den Fokus.

Jugendliche mobilisieren und organisieren sich selbst, um für jugendgerechte Lebensbedingungen einzustehen. Das prominenteste Beispiel dafür ist die Fridays-for-Future-Bewegung. Junge Menschen kämpfen für eine verantwortungsvolle Klimapolitik und die generationale Verantwortung zum vernünftigen Umgang mit unserer Erde. Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass das aktuelle Klimaschutzgesetz die Freiheitsrechte einer ganzen Generation nicht ausreichend sichert.

Problemlagen von Jugendgerechtigkeit

Die Bemühungen um jugendgerechte Lebensräume in Deutschland werden von mindestens vier Problemlagen eingeschränkt:

Demografischer Wandel: Die Bevölkerung wird immer älter. 2020 betrug der Anteil der deutschen Bevölkerung unter 18 ca. 16,5%.  Immer weniger junge Menschen sollen den Generationenvertrag erfüllen. Das führt zu Debatten über ein späteres Renten-eintrittsalter während betriebliche Ausbildungsangebote abnehmen.

Fehlende politische Lobby: Jugendliche haben keinerlei politische Verbündete. Während der Coronapandemie werden Jugendliche fast ausschließlich als Schüler*innen verhandelt. Das BMFSJF als Fachministerium bleibt nach dem Rücktritt der Ministerin in einer Interimsbesetzung. Politik investiert zu wenig in Jugendgerechtigkeit.

Begrenzte politische Teilhabemöglichkeiten: Minderjährige sind von den Bundestagswahlen ausgeschlossen. Trotz guter Bemühungen für jugendgerechte Beteiligung durch Kommunen und Akteur*innen in der Jugendhilfelandschaft, sind verbindliche Teilhabemechanismen noch nicht zufriedenstellend eingerichtet.

Mangelnde gesellschaftliche Anerkennung: Jugendliche werden als unpolitisch, unaufmerksam und desinteressiert wahrgenommen. Es fehlt an Zutrauen in die Kompe-tenzen junger Menschen, Verantwortung zu übernehmen und fundierte Entscheidungen zu treffen.

Zusammenhang Jugendgerechtigkeit und Bundespolitik

Die etablierten Parteien haben in den letzten Jahren Zusagen gemacht, die helfen könnten, mehr Jugendgerechtigkeit zu erreichen. Die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz ist Bestandteil des Koalitionsvertrages und dennoch gescheitert. Gerade die Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind Dinge, die Jugendliche stark umtreiben. Hier machen die Parteien unterschiedliche Aussagen und positionieren sich dementsprechend auch, wie konsequent sie Sorge für nachfolgende Generationen tragen wollen.

Auftrag der Jugendverbände

Für uns Jugendverbände ist es selbstverständlich, Jugendliche und ihre Bedarfe ernst zu nehmen und sie in Entscheidungsfindungsprozessen zu beteiligen. Als Werkstätten der Demokratie sorgen wir für Räume, in denen Jugendliche Gesellschaft mitgestalten können. Die Koordinierungsstelle für jugendgerechtes Handeln stellt in ihren 16 Schritten zu mehr Jugendgerechtigkeit fest, dass Jugendgerechtigkeit ein Aspekt politischer und demokratischer Bildung ist. Dementsprechend ermöglichen wir durch unsere Arbeit Jugendgerechtigkeit. Wir haben vielfältige Erfahrungen damit, dass Kinder und Jugendliche eine sehr genaue Vorstellung von gesellschaftlichem Zusammenleben haben. Wir wissen, dass Jugendliche sich positi-onieren, verantwortungsvoll und entscheidungskompetent sind. Wir müssen für mehr Jugendgerechtigkeit zu sorgen. Das schaffen wir, indem wir Parteien auf ihre Zusagen verpflichten. Wir müssen weiterhin auf eine Absenkung des Wahlalters drängen und die Aner-kennung jugendlicher Interessen sowie die ernsthafte Ermöglichung von Beteiligung erkämpfen. Alle Wahlberechtigten müssen unsere Haltung mit an die Wahlurne nehmen und das Kreuz für eine jugendgerechte Zukunft setzen.     


Menschenrechte (global), Kritischer Konsum, Klimagerechtigkeit und fairer Handel

von Lena Wallraff, Referentin für Entwicklungsfragen in der BDKJ Bundesstelle

Die nächste Bundesregierung wird entscheiden, wie sich Deutschland für globale Gerechtigkeit und Klimaschutz einsetzt. Wenige Wochen vor der Wahl möchten wir noch einmal auf zwei besonders wichtige Themen hinweisen: Faire, weltweite Lieferketten und der Einsatz für Klimagerechtigkeit.

Was die weltweiten Lieferketten betrifft ist klar: Bei der Herstellung von Produkten wird viel zu oft die Umwelt geschädigt und Menschenrechte werden verletzt. Dagegen setzen sich die Verbände im BDKJ seit 50 Jahren ein. Als Mitbegründer*innen des Fairen Handels in Deutschland, als Gesellschafter der GEPA und als Mitglied bei Fairtrade Deutschland engagieren wir uns für faire Produktions- und Arbeitsbedingungen weltweit. Deshalb hat sich der BDKJ im vergangenen Jahr mit vielen weiteren Organisationen für ein Lieferkettengesetz in Deutschland eingesetzt. Mit Erfolg: Dieses wurde am 11.06.2021 vom Bundestag verabschiedet. Es ist ein wichtiger Schritt für den Einsatz für die Menschenrechte. Das reicht uns aber noch nicht: Langfristig muss das Gesetz nachgeschärft und ein Gesetz auf europäischer Ebene verab-schiedet werden.

Bei der Klimagerechtigkeit gilt: Die Klimakrise ist eine globale Krise und betrifft uns alle. Jedoch leiden viele Menschen im Globalen Süden bereits jetzt stärker unter den Folgen des Klimawandels. Die, die am wenigstens zum Klimawandel beigetragen haben, sind schon heute überdurchschnittlich häufig von Überschwemmungen, Hitzewellen und Dürreperioden betroffen und fürchten um ihre Lebensgrundlage. Dies haben die Verbände besonders mit Beschluss „Klimagerechtigkeit jetzt! Wir fordern globale Klimagerechtigkeit“ deutlich gemacht.

Die Präsenz von Klimapolitik in der aktuellen Debatte und die politischen Entscheidungen bezogen auf Klimaschutz waren nur durch das Engagement von unendlich vielen Kindern und Jugendlichen weltweit möglich. Fridays for Future wurden so laut, dass das Thema unüberhörbar wurde. Auch die Verbände im BDKJ waren an unzähligen Demonstrationen beteiligt. Das Engagement für Klimaschutz ist in den Verbänden und darüber hinaus noch weitreichender: Seit langem setzen sich die Verbände für Klimaschutz ein und sensibilisieren viele junge Menschen im verbandlichen Kontext.

Zum Beispiel zum kritischen Konsum: In Diskussionen zum kritischen Konsum wird überlegt, wie wir sozial und ökologisch konsumieren können, ohne der Umwelt zu schaden und gleichzeitig Menschenrechte zu achten. Kritischer Konsum beginnt im Kleinen, fordert aber auch einen systemischen Wandel. Seit vielen Jahren setzt sich der BDKJ deshalb zum Beispiel für ökofaire Beschaffung in den eigenen Häusern und in Kirche und Gesellschaft ein. Wenn Ihr mehr zum Kritischen Konsum erfahren möchtet, dann abonniert unseren Instagram Kanal @kritischerkonsum.

Die Bundestagswahl am 26. September ist entscheidend für den Einsatz für globale Gerechtigkeit: Die nächste Bundesregierung wird entscheiden, ob eine starke und sozialgerechte Klimapolitik durchgesetzt wird und wir die Folgen des Klimawandels abschwächen können.


 


„back to the roots“ – Armut in Deutschland
von Christoph Lehmann, Kolpingjugend Deutschland

Diese Überschrift scheint das Motto dieser Zeit zu sein. In vielen Bereichen bewegen sich die Menschen zum Ursprung zurück. Beispielsweise in der Energiewirtschaft: Durch den Klimawandel werden die Ursprünge der Energie, Sonne und Wind, wieder verstärkt ins Visier genommen. Oder in der Agrarwirtschaft: Hier wird geschaut, wie ökologische Landwirtschaft mit natürlichem Pflanzenschutz und alten Sorten gelingen kann, um die Insekten (besonders die Bienen) zu schützen. Auch in der Theologie wird an den Ursprüngen geforscht. Ein Ziel ist es, herauszufinden wie gelebte Religiosität heute aussieht, um daran anzuknüpfen und so als Glaubensgemeinschaft für die Menschen wieder ansprechbar zu werden. Als letztes Beispiel, die Wurzeln der Gesellschaft: Eine Gesellschaft gründet sich, um gemeinsam ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Gerade bei einem Staat ist die Zielsetzung ein gutes Leben der Bevölkerung zu ermöglichen. Wie gut ein Staat und seine Bevölkerung diese Aufgabe erfüllt, kann oft an den Auswirkungen auf die Ärmsten der Gesellschaft beurteilt werden. Immer wieder versucht der Staat über gut strukturierte Sozialpakete dieses Thema anzugehen, doch wie steht es zurzeit um die Ärmsten in Deutschland?

Das Armutsrisiko in Deutschland geht zurück, doch wer einmal arm ist, bleibt es in der Regel auch. Die Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die Gefährdung durch Armut und soziale Ausgrenzung im Durchschnitt beständig sinkt. Dies hängt maßgeblich mit den sinkenden Arbeitslosenzahlen, gestiegenen Lohnniveaus und höheren Sozialleistungen zusammen. Dies belegen auch die Daten zur Armutsgefährdung vor und nach der Vermögen-sumverteilung durch Sozialleistungen.

Die Armutsgefährdungsquote gibt an, wie hoch der Anteil der Bevölkerung ist, der unter 60% des Durchschnittseinkommens der entsprechenden Altersgruppe liegt (Verarmung nur nach Einkommen). Die Gefährdung durch Armut oder soziale Aus-grenzung ist dann gegeben, wenn eines oder mehrere der drei Kriterien "Armutsgefährdung", "erhebliche materielle Entbehrung", "Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung" vorliegen.

Trotz des generellen Trends, dass weniger Menschen von Armut gefährdet sind, haben sich die Risiken verfestigt. In den letzten Jahrzehnten sind die Menschen, die einmal in die Armut abgerutscht sind, kaum wieder aus ihrer Lage herausgekommen. So nimmt zwar die Wahrscheinlichkeit der Verarmung ab, aber der Anteil der Verarmten an der Bevölkerung zu. So lag der von Armut betroffene Anteil der Bevölkerung in den 1990’iger Jahren bei nur 11%, während es 2019 17,4% sind.

Die Wurzeln aller Armut sind Bildung und nicht funktionierende Familienstrukturen.

„back to the roots“ – Die größten Gefahren in die Armut abzurutschen sind laut Statistischem Bundesamt geringe Bildung oder Alleinerziehend zu sein. So sind 2019 22,3% der Alleinerzie-henden von Armut betroffen, dicht gefolgt von Menschen mit einem maximalen Bildungsniveau eines Realschulabschlusses (18,3% der Gruppe von Armut betroffen).  Beide Werte liegen deutlich über der mittleren Gefährdung von 17,4% (2019).

Doch was kann jetzt dagegen getan werden? Adolph Kolpings Leitthema, durch Bildung, Obdach und eine Vermittlung katholischer Soziallehre für soziale Sicherheit in Zeiten der Industrialisierung zu sorgen, scheint plötzlich wieder aktueller denn je. Deshalb setzt sich das Kolpingwerk Deutschland das Ziel, sich verstärkt einzusetzen, für eine Verbesserung der Bildung und die Förderung einer gelingenden Gemeinschaft in Familie und Gesellschaft.

Besonderes Augenmerk in der Bildung liegt dabei auf der Weiterentwicklung und besseren Integration der Formen der dualen Ausbildung und des dualen Studiums in die Berufswelt. Der duale Weg bildet dabei die Chance, den einfachen handwerklichen Ausbildungsberuf so aufzuwerten, dass sich auch wieder mehr höher gebildete Schüler*innen in diesen Arbeitsbereichen wiederfinden und zu einem Erhalt des Handwerks in Deutschland beitragen, indem sie Betriebe gründen oder erhalten und so Arbeitsplätze sichern.

Neben der Stärkung und Aufwertung von Ausbildungsmöglichkeiten, gilt es auch den Blick auf Familien und ihre Kinder zu lenken, genügend Angebote zu schaffen und soziale Infrastruktur für Menschen mit Armutserfahrung auszubauen. Auch Angebote der Jugendverbandsarbeit bieten hier viele Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln, Kontakte zu schließen und Normalität zu erfahren. Es ist deshalb wichtig, dass diese Programme gefördert und vermehrt angeboten werden.

„back tot he roots“ – Es ist klar, dass wir mit einem „Weiter so.“ nicht weitermachen können und uns auf das Wesen der Dinge einlassen müssen. Hierbei sollte aber auch darauf geachtet werden, dass die gesamte Gesellschaft weiterhin an der Entwicklung unseres Landes Teil haben kann und nicht durch einseitiges Denken ausgeschlossen wird.


Geschlechtergerechtigkeit
von Sophia Weißer, Bundesleitung der J-GCL

Feminismus ist heute kein Thema mehr, über das man sich lange unterhalten muss – glaubt man jedenfalls: Geschlechtergerechtigkeit, weibliche Selbstbestimmung und Emanzipation gehören mit ihren Kämpfen ins zwanzigste Jahrhundert, durch social media und weibliche Präsenz in allen Arbeitsbereichen scheint emanzipiertes weibliches Auftreten alltäglich.

Trotzdem spielt der Feminismus auch bei dieser Bundestagswahl eine große Rolle: Die einzige Kanzler*innenkandidatin Annalena Baerbock wurde von Beginn an als Kandidatin attackiert, Plagiatsvorwürfe folgten der Infragestellung ihrer Kompetenzen als Politikerin. Die sogenannte „Maskenaffäre“ um Armin Laschet: schnell vergessen – obwohl es hier um persönliche Bereicherung ging, eine Tatsache, die die Glaubwürdigkeit von (v.a. männlichen) Spitzenpolitiker*innen stärker untergraben sollte als die Vorwürfe, mit denen Baerbock konfrontiert wurde. Dass die einzige Frau in der Runde der Kandidat*innen mit teilweise absurd anmutenden Vorwürfen zu kämpfen hatte, lässt vermuten, dass das Ziel des Feminismus, die Gleichstellung aller Geschlechter, in Deutschland noch nicht erreicht ist.

Um von den Kandidat*innen hin zum konkreten Wahlprogramm der Parteien zu kommen, schlage ich die Nutzung des Wahl-O-Mats Wahltraut vor (> https://wahltraut.de/matowahl).

„WAHLTRAUT ist Expertin für Gleichstellungspolitik. Deshalb hat sie den Parteien 32 Fragen gestellt. In denen geht es unter vielen anderen Themen um faire Bezahlung, Rechte von LGBTQIA+, Anti-Rassismus und Inklusion.“

Dieser Wahl-O-Mat gibt also gebündelt Informationen über die Wahlprogramme ab, die schwerpunktmäßig dem Feminismus zuzuordnen sind. Dabei lässt sich auch erkennen: CDU/CSU und FDP schneiden bei den meisten Fragen eher schlecht ab: Konsequent wäre es, die eigene feministische Stimme einer anderen Partei wie den Grünen oder der Linken zukommen zu lassen, die beispielsweise mehr Wert auf die Entlohnung von Care-Arbeit oder auch die bessere Bezahlung von überwiegend weiblicher Arbeit legt.

Stets zu kurz in Diskussionen um Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit in der Politik kommt die Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen. Hier sollten nicht nur Mädchen und Frauen spezifische Angebote erhalten, auch die Beachtung der Förderung von Jungen und Männern ist ein Punkt, durch den Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden kann: Wenn männlich sozialisierte Menschen sich früh mit ihrer konstruierten und dadurch konstituierten Macht auseinandersetzen, sie kritisch hinterfragen und Muster toxischer Männlichkeit aufbrechen, entstehen Allianzen und Solidarisierung mit unterdrückten und benachteiligten FLINTA* und Angehörigen der LGBTQ*-Community.

Zu feministischer Politik sollte somit auch gehören, sich aktiv mit dem vorherrschenden, toxischen Verständnis von Männlichkeit und der kontinuierlichen Abschaffung des Patriarchats auseinanderzusetzen.

Weiterhin ist es ein Anliegen, gerade in der Jugendverbandsarbeit, das Verständnis von Geschlechtergerechtigkeit auszudehnen: Mehr und mehr Menschen möchten und können sich nicht als cis-geschlechtlich identifizieren. Wir müssen aktiv handeln und wollen dafür einstehen, die geschlechtliche Vielfalt aus dem binären System zu heben und alle Gender und Genderperformances als gleichberechtigt zu akzeptieren. Hinzu kommt die seit den 1980er Jahren stärker berücksichtigte Erkenntnis, dass die Diskussion um Geschlechtergerechtigkeit nur im Zusammenhang mit anderen Diskussionen von Marginalisierung und Ausgrenzung geschehen kann. Der Begriff der Intersektionalität beschreibt die Verwicklung verschiedener Diskriminierungsformen und lenkt den Blick auf Mehrfachdiskriminierung. Beispielsweise sind BIPoC, behinderte oder arme FLINTA*, Alleinerziehende uvm. neben der Diskriminierung als FLINTA* eben auch wegen ihres Nicht-Weißseins, ihres behinderten Körpers oder ihrer unterprivilegierten Stellung im kapitalistischen System marginalisiert.

Wir fordern hier von der Politik die Berücksichtigung von Mehrfachdiskriminierung und das Schaffen von Strukturen, in denen alle FLINTA*-Personen nicht nur Geschlechtergerechtigkeit, sondern in der Aufarbeitung diskriminierender Strukturen Gerechtigkeit für alle Bereiche des Lebens erfahren.


Möglichkeiten schaffen – ein Perspektivwechsel
von Micky Frenken und Sebbi Schmitt für den Bundesarbeitskreis Inklusion der DPSG

Sommer, Sonne, Sonnenschein! Es ist Zeit für ein Abenteuer. Sommerzeit ist Zeltlagerzeit! Endlich wieder mit meinen Freund*innen zwei Wochen auf einem Zeltplatz verbringen. Nach einem Jahr Pause, wegen der Corona Pandemie freue ich mich umso mehr.

Dann geht die Reise los. Wir treffen uns am Pfadfinder*innenheim und die letzten Formalia werden mit den Eltern geklärt. Los geht es! Für mich? Natürlich wunderbar aber auch mit Tücken verbunden.

Barrieren trotz guter Planung tun sich in jedem Lager auf. Meine Leiter*innen sind sehr sorgfältig und schauen nach guten barrierearmen Möglichkeiten. Barrierefreiheit auf einem Zeltplatz? Nahezu unmöglich.

Ankunft am Sommerlager Platz. Bin ich dort gut versorgt? Sorgen, die ich nicht äußere, die mich dennoch jedes Jahr aufs Neue umtreiben. Wir werden sehen, welche Hürden es in diesem Jahr zu nehmen gilt.

Menschen mit einer Einschränkung könnten mit solch oder einem ähnlichen Gefühl ins Sommerlager starten. Da ist es egal, ob es sich um eine körperliche Einschränkung handelt, bei der es schon bei augenscheinlich klein wirkenden Hürden für diese Person zu Schweißausbrüchen kommen kann oder um eine mentale Einschränkung.

Barrierefreiheit wird oft angepriesen und dennoch ist es leider immer noch nicht in allen Köpfen angekommen. Ob es die barrierefreie Veranstaltung, wie das jährliche Sommerlager ist oder die Veranstaltung, bei der ganz selbstverständlich ein Gebärdendolmetscher dabei sein könnte - die Realität sieht leider sehr oft anders aus. Wir, bei den Pfadfinder*innen der DPSG versuchen durch die starke Gemeinschaft innerhalb der Gruppe (je nach Altersstufe auch Rudel, Meute, Sippe oder Runde genannt) vieles gemeinsam zu schaffen, auch wenn die Barriere auf den ersten Blick unüberwindbar zu sein scheint. Das Ganze getreu dem Pfadfindermotto „Look at the child“ und oft auch „Learning by doing“. Mit dieser Herangehensweise wurde schon mancher Gipfel gemeinsam erklommen, da wir versuchen die „Barrieren in den Köpfen“ soweit es geht abzubauen oder gar nicht entstehen zu lassen. Sehr oft ist das in der Gruppe möglich, manchmal jedoch kommt auch eine starke Gruppe an ihre Grenzen.

Deshalb beschäftigt sich der Bundesarbeitskreis “Inklusion“ der DPSG aktuell mit den The-menschwerpunkten „Barrierefreie/-arme Veranstaltungen und barrierefreie/-arme Kommu-nikation“.

Wir wünschen uns, dass ein „Ruck“ durch die Gesellschaft geht und jede*r in ihrem*seinem unmittelbaren Umfeld ein wenig feinfühliger in Bezug auf Barrierefreiheit oder zumindest Barrierearmut wird.

Die interdisziplinäre Arbeit auf Bundes-, Diözesan-, Bezirks- und Stammesebene ist für uns ein wichtiger Bestandteil der DPSG Verbandsarbeit. Hürden und Sorgen nehmen, Ansprech-partner*innen sein bei Fragen und Begegnung und Abenteuer schaffen. Aber auch ein Blick über den Tellerrand in andere Verbände und Strukturen hilft uns den Blick zu weiten und zu schärfen.


Zwischen Nächstenliebe und rechten Vereinnahmungsversuchen
Die Kirchen in der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten
von Henning Flad, Projektleitung BAG K+R

Der Aufstieg rechtspopulistischer, neurechter und rechtsextremer Akteure in Deutschland ist mittlerweile unübersehbar geworden – durch die Präsenz der AfD in Landtagen und auch im Bundestag, durch einen Bedeutungsgewinn rechter Medien, durch zahlreiche gut besuchte Demonstrationen auch im Westen der Republik sowie durch ständige rassistische Stimmungsmache in den sozialen Medien. In den Jahren 2015 und 2016 kam es zur schlimmsten Welle an rassistisch motivierten Brandanschlägen gegen Unterkünfte von Geflüchteten seit Anfang der 1990er Jahre.

Im Laufe des Jahres 2020 wurde der Aufstieg einer neuen rechten Bewegung auch sichtbar durch teilweise gut besuchte Demonstrationen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Ein-dämmung der Corona-Pandemie, bei denen Rechtsextreme deutlich Präsenz zeigen konnten, ohne dass dies auf größeren Widerspruch der sonstigen Teilnehmenden gestoßen wäre.

Kirchliche Verantwortung

Die christlichen Kirchen stehen in einer besonderen Verantwortung, sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus und andere Formen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit einzusetzen. Die kritische Beschäftigung mit Rechtsextremismus und das Eintreten für Demokratie gehört zu den zentralen Anliegen vieler Kirchenmitglieder. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ – das Gebot der Nächstenliebe ist eindeutig, es enthält keinen Spielraum für die Diskriminierung und Verfolgung von Menschen. Ebenfalls sehr bekannt ist fol-gende Stelle aus dem 2. Buch Mose: „Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrü-cken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen.“ (2. Mose 20, 22) Die Botschaft ist glasklar: Rassismus ist nicht vereinbar mit dem Gebot der Nächstenliebe. Es gibt viele weitere klare Aussagen in der Bibel.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und die evangelischen Landeskirchen verurteilen deshalb ebenso wie die Deutsche Bischofskonferenz, die Diözesen und das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken regelmäßig und mit großer Klarheit Rassismus und sprechen sich gegen alle Formen von Diskriminierung aus. Im kirchlichen Raum gibt es eine Vielzahl von sehr aktiven Initiativen, die sich kritisch mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus auseinandersetzen. Viele von ihnen haben sich in der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus zusammengeschlossen, die 2010 gegründet wurde.

Der gestiegene Stellenwert des Themas im kirchlichen Raum wird auch sichtbar dadurch, dass Einrichtungen wie das Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg und die Domberg-Akademie in München in den letzten Jahren Projektstellen aufgebaut haben, die sich kritisch mit der ext-remen Rechten befassen.

Auseinandersetzungen in den Kirchen

Die vielen klaren kirchlichen Stellungnahmen sind erfreulich, doch gleichzeitig lieferten mehrere Untersuchungen aus den letzten Jahren Anhaltspunkte dafür, dass auch unter Kirchenmitgliedern menschenfeindliches Gedankengut durchaus verbreitet ist. Es ist offenkundig: Rassismus und Antisemitismus, ebenso wie andere menschenfeindliche Ideologien und Strukturen, sind nicht nur ein Randphänomen der Gesellschaft. Dies bestätigen alle einschlägigen Studien. Zwar ist Neonazismus genau das: ein gesellschaftliches Randphänomen. Aber Ideologien der Ungleichheit sind auch verbreitet unter Menschen, die sich in der gesellschaftlichen Mitte positionieren.

Aus vielen Berichten gegen Rassismus engagierter kirchlicher Initiativen und auch aus den eigenen Erfahrungen des Autors in Pfarrkonventen, Fortbildungen für Mitarbeitende kirchlicher Einrichtungen und ähnlichen Veranstaltungen ist deutlich, dass rechtspopulistische Deutungsmuster auch im kirchlichen Raum insbesondere seit dem Jahr 2015 sowohl zunehmen als auch offener geäußert werden. Auch in den Kirchen haben Auseinandersetzungen zugenommen, vor allem auf lokaler Ebene.

So entbrannte etwa in einer katholischen Gemeinde in Potsdam ab Ende des Jahres 2019 ein heftiger Streit um die Wahl eines Aktivisten der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative in den Pfarrgemeinderat. Die Auseinandersetzung wurde von der neurechten Wochenzeitung Junge Freiheit in einer ganzen Reihe von Artikeln begleitet. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch ordnete schließlich im März 2020 Neuwahlen an.

Dennoch muss betont werden: Entgegen der Wahrnehmung bei einigen Journalist*innen, dass aufgrund der Parole „Rettung des christlichen Abendlandes“ rechte Kreise in den Gremien der Kirchen überproportional stark vertreten sein müssten im Vergleich zur nicht-konfessionell gebundenen Bevölkerung – sie sind es nicht.

Tatsächlich war kirchliches Leben gerade in den Gemeinden in den Jahren seit 2015 viel stärker von der ehrenamtlichen Unter-stützung von Geflüchteten geprägt, tatsächlich sind Rechtspopulist*innen auf Synoden der evangelischen Kirche und Diözesanräten der katholischen Kirche in Deutschland - falls überhaupt vertreten - weit unterrepräsentiert. Tatsächlich sind keine Mitglieder der AfD im Zent-ralkomitee der deutschen Katholiken vertreten.

Kirchen als Feindbild der extremen Rechten

Wer über Rechtspopulismus und die Kirchen redet, sollte deshalb einen anderen Punkt in den Fokus nehmen: Dass die Kirchen aufgrund ihrer Gleichstellungspolitik und ihrer Migrationspolitik Feindbild des Rechtspopulismus sind, insbesondere seit 2015. Dies beinhaltet vor allem die ständige Negativberichterstattung, Hetze und Stimmungsmache in einschlägigen Medien der rechten Bewegung. Dazu kommen immer wieder sogenannte Shitstorms, die sich insbesondere gegen die kirchliche Flüchtlingspolitik und die kirchliche Gleichstellungspolitik und auch Bedrohungen von Ehren- und Hauptamtlichen.

Besonders schmerzhaft für die Betroffenen ist jedoch etwas anderes: Insbesondere seit 2015 berichten immer mehr Menschen, die haupt- oder ehrenamtlich in der Geflüchtetenunterstützung tätig sind, dass sie auch im privaten Raum unter Druck gesetzt werden. Anekdotisch sei von zwei dem Autor von Betroffenen zugetragenen Fällen berichtet: Eine Mitarbeiterin in der Koordination des ehrenamtlichen Engagements für Geflüchtete einer diakonischen Einrichtung in einer westdeutschen Großstadt berichtete von heftigen verbalen Attacken gegen ihre berufliche Tätigkeit während einer Familienfeier. Als sie sachlich ihr berufliches Engagement verteidigte, musste sie sich folgenden Satz anhören: „Weißt Du, früher, als Du noch dick warst, warst Du viel netter.“

Ein Mitarbeiter einer Migrationsberatungsstelle der Caritas in einer ostdeutschen Großstadt wurde von seiner Schwester aufgefordert, sich umgehend ein anderes berufliches Betätigungsfeld zu suchen. Andernfalls würde sie ihn in Zukunft nicht mehr zur Familienfeier am Heiligabend einladen.

Was tun?

Bei aller skeptischen Beurteilung der Erfolgsaussichten rechter Unterwanderungsversuche ist trotzdem eine selbstkritische Perspektive einzunehmen: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist spürbar vorhanden in den Kirchen, und auch mehr, als dies bei den selbst gesetzten Ansprüchen zufrieden stellen kann.  

Der zentrale Weg der Auseinandersetzung der kirchlichen Auseinandersetzung mit der extremen Rechten und mit Rassismus muss über das Wort gehen, über das bessere Argument. Innerhalb der Kirchgemeinden heißt dies: Diskutieren, diskutieren, diskutieren. Ressentiments können nur bearbeitet werden, wenn sie offen auf dem Tisch liegen. Es braucht eine angstfreie Atmosphäre, weil sonst die Menschen nicht sagen werden, was sie denken. Sie behalten ihre Ressentiments einfach für sich, und es gibt keine Möglichkeit mehr, zu widersprechen.

Erfolgreiche Diskussionen sind auch eine Frage der eigenen Haltung. Diese sollte sein: Teil der Lösung kann nur sein, wer sich auch selbst als Teil des Problems begreift. Das heißt, immer mit einer selbstkritischen Perspektive auf das Gegenüber im Gespräch zuzugehen, und sich auch kritisch mit den eigenen Ressentiments zu befassen. Und immer davon auszugehen, auch einmal selbst falsch liegen zu können, und sich mit Argumenten, die den eigenen widersprechen, auch tatsächlich auseinandersetzen. Gleichzeitig ist jedoch immer deutlich zu ma-chen: Rassismus ist mit dem christlichen Glauben unvereinbar. Die Kirchen sind nicht und können nicht neutral sein in dieser Frage.  

Gute Arbeit und eine funktionierende Ausbildungsgarantie
von Ludger Urbic, Referent für Jugendsozialarbeit

Junge Menschen sind in Deutschland überproportional von prekärer Arbeit betroffen. Viele arbeiten in befristeten Arbeitsverhältnissen, häufig unbegründet befristet und über den gesetzlichen Rahmen hinaus. Sie arbeiten vermehrt in Zeit- und Leiharbeit und haben nicht die Möglichkeiten und Rechte regulär Beschäftigter. Immer noch werden zu viele im Rahmen von Werkverträgen in Scheinarbeitsverhältnisse gedrängt. Wahrzunehmen ist ein wachsender Druck und eine Unsicherheit, welche viele junge Menschen prägt.

Die Corona-Pandemie hat die jungen Erwachsenen in prekärer Beschäftigung als Erste getroffen. Die jungen Menschen gerieten schneller in Arbeitslosigkeit. Der BDKJ hat schon 2015 in seinem Beschluss „Prekäre Arbeitsverhältnisse“ die Begrenzung befristeter Beschäftigung, die Verbesserung der Situation der Mitarbeiter*innen in der Zeitarbeit sowie den gesetzlichen Schutz vor als Werkvertrag getarnter Scheinselbständigkeit gefordert. Er tritt entschieden für eine Arbeitswelt ein, in der jeder junge Mensch sein Leben langfristig gestalten kann und dabei arbeitsrechtlich geschützt ist. Dies lässt auch die Möglichkeit und Zeit, sich ehrenamtlich zu engagieren und z.B. in der verbandlichen Jugendarbeit dauerhaft aktiv zu sein.

Für viele junge Menschen ist eine duale Berufsausbildung der Einstieg in Beschäftigung und gute Arbeit. Die Situation am Ausbildungsmarkt hat sich verschlechtert und erschwert jungen Menschen den Zugang zu einer Ausbildung, die ihren Fähigkeiten und Neigungen entspricht. Die Corona-Krise hat wie ein „Brandbeschleuniger“ gewirkt und die Situation massiv verschlechtert. Die betrieblichen Ausbildungsplätze sind in den beiden Corona-Jahren um 13 % zurückgegangen. In diesem Jahr gibt es bei einigen wenigen Berufssparten etwas Entspannung, aber nach dem 10 %igen Rückgang in 2020 sind es auch dieses Jahr 3% weniger als im Vorjahr. Ein weiteres Phänomen ist zu beobachten: Die Zahl der Bewerber*innen ist trotz stabiler Zahlen von Schulabgänger*innen stark zurückgegangen. Jugendliche und junge Erwachsene fliehen in zum Teil für sie unpassende schulische Angebote, andere verabschieden sich ganz aus dem System von Qualifizierung und beruflicher Bildung.

Die Initiative „arbeit für alle“ im BDKJ hat in einem Zwischenruf die schlechte Situation am Ausbildungsmarkt bewertet. Sie hebt die Bedeutung der betrieblichen Ausbildung und ihrer Begleitung und Unterstützung hervor. Gleichzeitig fordert der afa zur Überwindung der Krise am Ausbildungsmarkt ein Sofortprogramm zur Schaffung außerbetrieblicher Ausbildungsplätze. Verlierer*innen der Krise am Ausbildungsmarkt sind insbesondere Haupt- und Realschüler*innen. Bildungsferne junge Menschen haben faktisch keine Chance auf einen Ausbildungsplatz.

Für den BDKJ muss eine verbindliche Ausbildungsgarantie ein Recht auf Ausbildung beinhalten und mit betrieblichen und außerbetrieblichen Ausbildungsangeboten ausgestaltet werden. Eine Ausbildungsgarantie muss integrativ ausgestaltet sein und allen Jugendlichen, nach ihren Neigungen und Fähigkeiten, den Zugang zu einer beruflichen Ausbildung eröffnen. Die Politik der nächsten Bundesregierung muss sich auch daran messen lassen, ob es gelingt, eine Ausbildungsgarantie zu gestalten, die diesen Namen verdient und die Teilhabe aller Jugendlichen an Ausbildung, Beschäftigung und letztendlich auch unserer Gesellschaft garantiert.


Der BDKJ Speyer fordert mehr Einsatz für Geflüchtete und schloss sich dem Bündnis „United4Rescue“ an
von Thomas Heitz, BDKJ-Diözesanvorsitzender in Speyer

Noch immer flüchten jährlich über 100.000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa, weil sie und ihre Familie in ihrer Heimat von Krieg oder Umweltkatastrophen bedroht sind, unter Diskriminierung und Verfolgung leiden oder in tiefer Armut leben. Vor allem junge Menschen wagen die Flucht in der Hoffnung auf Schutz und eine Perspektive für ein menschenwürdiges Leben. Dabei setzen sie ihr Leben aufs Spiel.

Allein im Jahr 2019 ertranken mehr als 1100 Menschen bei der Flucht übers Mittelmeer oder gelten bis heute als vermisst. Das macht das Mittelmeer zur gefährlichsten Seefluchtroute der Welt (https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/mittelmeer/). Die Aussetzung der staatlichen Seenotrettung sowie die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung haben die Situation von Flüchtenden auf dem Mittelmeer dramatisch verschärft.

Die Reaktion der europäischen Regierungen auf die steigende Zahl flüchtender Menschen ab 2015 die europäischen Außengrenzen abzuriegeln, Fluchtrouten zu versperren und Obergrenzen für die Zuwanderung festzulegen widerspricht dem völkerrechtlichen Grundsatz des Schutzes von Verfolgten (Genfer Flüchtlingskonvention, 1951). Das Ziel, die Zahl der Flüchtenden zu reduzieren wird mit diesen Maßnahmen mitnichten erreicht, im Gegenteil wird die Gefährdungslage der Flüchtenden zusätzlich verschärft. Es braucht vielmehr geeignete Maßnahmen um die oben benannten Fluchtursachen zu bekämpfen.

Wir sehen es als Christ*innen als unsere Pflicht an, uns für Menschen auf der Flucht einzusetzen und für sie und mit ihnen aktiv zu werden.  Aus diesem Grund schloss sich der BDKJ Speyer dem Bündnis United4Rescue und seinen Forderungen die Seenotrettung betreffend an:

Pflicht zur Seenotrettung
Die Pflicht zur Seenotrettung ist Völkerrecht und das Recht auf Leben nicht verhandelbar. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen dies auf dem Mittelmeer gewährleisten.

Keine Kriminalisierung
Die zivile Seenotrettung darf nicht länger kriminalisiert oder behindert werden.

Faire Asylverfahren
Bootsflüchtlinge müssen an einen sicheren Ort gebracht werden, wo sie Zugang zu einem fairen Asylverfahren haben. Dazu haben sich die europäischen Staaten verpflichtet. Das Non-Refoulement-Gebot ist zwingendes Völkerrecht: Menschen dürfen nicht zurück in Länder gebracht werden, wo ihnen Gefahr droht und sie rechtlos sind.

„Sichere Häfen“ ermöglichen
Städte und Kommunen, die zusätzliche Schutzsuchende aufnehmen möchten, sollen diese Möglichkeit erhalten.

Der Anschluss an das Bündnis und seine Forderungen soll die Haltung nach außen hin bestärken, dass die Mitglieder des Verbandes nicht bereit sind, tatenlos zu zusehen, sondern sie auch bereit sind zu handeln. In den Verbänden gibt es bereits verschiedene Aktionen, in denen Menschen auf der Flucht unterstützt werden. Mehrere Jugendverbände im Bistum Speyer kooperieren bereits mit Unterkünften für Geflüchtete, andere führen Solidaritätsaktionen durch, der BDKJ Speyer hat sich aktiv für eine Familie mit drei Kindern aus dem Kosovo eingesetzt und dabei die Duldung ihres Aufenthaltes erreicht.

Die Jugend- und Regionalverbände sowie der Diözesanvorstand haben sich an alle Bundestags- und Europaabgeordneten mit ihrem Anliegen gewendet und ihre klaren Forderungen formuliert. Daraufhin gab es auch Gespräche mit einzelnen Politiker*innen.

Mit unseren zahlreichen Angeboten wollen wir uns für ein miteinander statt einem Gegeneinander einsetzen. Wir wollen an einer Welt mit gestalten, in der wir alle friedlich zusammen leben und füreinander einsetzen. Hier wollen wir mit gutem Beispiel voran gehen.